Kapitel: „Sanskritausdrücke aus Die Stimme der Stille“, S. 126 ff.
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Jñâna, Ajñâna, Avidyâ
Jñâna bedeutet „Weisheit“ oder „Wissen“; abgeleitet von der Verbwurzel jñâ – wissen. Ajñâna bedeutet „Nicht-Wissen“, „Unwissenheit“, das heißt Abwesenheit von Wissen über die inneren Wahrheiten des Lebens. Avidyâ bedeutet auch „Unwissenheit“, Unkenntnis über universale Wahrheiten; eine Zusammensetzung aus a – nicht und vidyâ – Weisheit, abgeleitet von der Verbwurzel vid – verstehen, wissen. Avidyâ wird als eine der Wurzelursachen des Bösen und des Leidens angesehen und dafür, dass ein Mensch der Diener unbekannter Kräfte von zerstörerischer Natur bleibt.
Pâramitâ
Eine Pâramitâ ist eine „Tugend“, eine „Vervollkommnung“; eine Zusammensetzung aus pâram, der Akkusativform von pâra – jenseits, ferneres Ufer oder äußerste Reichweite, und ita, dem Partizip Perfekt der Verbwurzel i – gehen; daher „darüber hinausgegangen“ oder „Vervollkommnung erreicht habend“. Die Pâramitâs sind Ideale spiritueller Vervollkommnung, die der Wegweiser des nach Selbstverwirklichung oder Âtma-vidyâ Strebenden sein können. Die sieben Pâramitâs oder die sieben wunderbaren Tugenden werden die „sieben Schlüssel zu den Pforten des Wissens oder der Weisheit“ genannt.
Diese sieben Schlüssel sind:
Dâna
„der Schlüssel der Barmherzigkeit und unsterblichen Liebe“. Abgeleitet von der Verbwurzel dâ – geben. Das Erringen dieser Tugend erfordert nicht nur materielle Mildtätigkeit, sondern liebevolles Mitgefühl, Sympathie, Bruderschaft und jene göttliche Liebe, jenes göttliche Mitleid, das erleuchtete Initiierte ähnlich den Buddhas dazu bringt, sich völlig dem Dienst an der Welt hinzugeben, anstatt in die erhabene Seligkeit und den Frieden Nirvânas einzugehen.
Sîla
„der Schlüssel der Harmonie in Wort und Tat, der Schlüssel, der Ursache und Wirkung in der Waage hält und keinen weiteren Raum für karmische Tätigkeit lässt“. Abgeleitet von der Verbwurzel sîl – dienen, ausüben. Wer Sîla erlangen will, muss Einfachheit, Freundlichkeit, Selbstbeherrschung und Selbstaufopferung üben, bis sogar die Gegensätze von Gut und Böse verschwinden und es nur noch spontanes harmonisches Verhalten gibt. Eine edle Tat ohne Gedanken an Belohnung ist harmonisch und hilft daher dabei, einen Menschen von den Banden irdischen Karmans zu befreien.
Kshânti
„die sanfte Geduld, die nichts erschüttern kann“. Abgeleitet von der Verbwurzel ksham – geduldig sein. Wer die Essenz von Kshânti erlangen will, muss Geduld pflegen, Nachsicht mit äußeren Umständen und den Stimmungen anderer üben, Seelenstärke im Umgang mit dem eigenen Selbst aufbringen und Furcht und Zweifel, zwei Feinde der Geduld, gänzlich ersterben lassen.
Virâga
„Gleichmütigkeit in Freude und in Schmerz, die Illusion besieget ist und wahrgenommen Wahrheit wird allein“. Eine Zusammensetzung aus vi – ohne und râga – Leidenschaft, Wunsch, abgeleitet von der Verbwurzel raj – glühen, erregt sein. Wer Virâga meistern will, muss Versuchungen, die Illusionen der Materie, die sinnlichen Wünsche, das launische Gemüt und das unstete Herz überwinden und eins mit der Wirklichkeit werden. Diese Pforte wird das „Tor des Gleichgewichts“ genannt, weil sie das letzte Ringen zwischen dem Höheren und dem Niederen, dem Wirklichen und dem Unwirklichen darstellt.
Vîrya
„die unerschrockene Energie, die ihren Weg zu überirdischer WAHRHEIT aus dem Schlamm irdischer Lügen erkämpft“. Abgeleitet von vîr – mächtig oder mutig sein. Diese Tugend erfordert mehr als rein äußerliche Hingabe. Selbstkontrolle und Beharrlichkeit beim Reinhalten von Herz und Gemüt sowie eine ruhmreiche und standhafte Anstrengung, der Menschheit Wahrheit zu bringen, sind unerlässlich.
Dhyâna
„Meditation“, „spirituelles Nachsinnen“; abgeleitet von der Verbwurzel dhyai – meditieren. Wahres Dhyâna bedeutet ein Gemüt und ein Herz, die in reinem Wissen und reiner Erleuchtung baden und frei von den Anziehungen der niederen und trügerischen Welt sind. Die Dhyâna-Pforte ist eine, deren „goldenes Tor, wenn es einmal geöffnet ist, den Narjol führet hin zum Königreich des ewigen Sat und seiner unaufhörlichen Kontemplation“.
Prajñâ
Wahre Weisheit; Weisheit, die das Resultat von Selbstverwirklichung ist; jene Intelligenz und unterscheidende Kraft, die das Höhere Selbst klar reflektieren; oder mit den Worten der Buddhisten „göttliche Intuition“; abgeleitet von der Verbwurzel jñâ – verstehen, wissen, und der Präposition pra – vorher; daher „Vorherwissen“. Der Schlüssel zu Prajñâ macht „aus einem Menschen ... einen Gott, einen Bodhisattva, einen Sohn der Dhyânins“. „Solcherart die goldenen Schlüssel zu den Pforten sind.“
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Abschnitt I: Einleitungen und Biografie
Widmung
Die Sprache der Götter
Theosophische Universität Point Loma
Judith M. Tyberg – Biografie
Vorwort von Judith M. Tyberg
Abschnitt II: Über das Sanskrit
Einführung
Geschichte, Entwicklung und Charakter des Sanskrit
Sanskrit-Regeln und Leitfaden
Abschnitt III: Das Meer der Theosophie
William Quan Judge
Vorwort zum Meer der Theosophie
Das Meer der Theosophie – Inhaltsverzeichnis
Sanskrit-Ausdrücke aus Das Meer der Theosophie
Lektion 1
Lektion 2
Lektion 3
Index zu den Lektionen 1–3
Abschnitt IV: Die Stimme der Stille
Helena Petrowna Blavatsky – Leben und Werk
H. P. Blavatsky: Vorwort zu Die Stimme der Stille
Die Stimme der Stille – Inhaltsverzeichnis
Sanskrit-Ausdrücke aus Die Stimme der Stille
Lektion 4
Lektion 5
Lektion 6
Lektion 7
Index zu den Lektionen 4–7
Abschnitt V: Grundlagen der Esoterischen Philosophie
Prof. Dr. Gottfried von Purucker
Vorwort des Herausgebers der deutschen Ausgabe
Grundlagen der Esoterischen Philosophie – Inhaltsverzeichnis
Sanskrit-Ausdrücke aus Grundlagen der Esoterischen Philosophie
Lektion 8
Lektion 9
Lektion 10
Index zu den Lektionen 8–10
Abschnitt VI: Die Geheimlehre
Helena Petrowna Blavatsky
100 Jahre Die Geheimlehre – Vorwort des deutschen Herausgebers
H. P. Blavatsky: Vorrede zur 1. englischen Auflage
Die Geheimlehre – Inhaltsverzeichnis
Sanskrit-Ausdrücke aus Die Geheimlehre
Lektion 11
Lektion 12
Index zu den Lektionen 11–12
Abschnitt VII: Lesen und Schreiben des Sanskrit
Sanskrit-Leselektionen und Übersetzung
Leselektion 1
Keine Religion ist höher als die Wahrheit
Om Tat Sat – Om jene grenzenlose Wahrheit und Wirklichkeit
Leselektion 2
Ich bin wahrhaftig das Grenzenlose
Om der Diamant-Träger Hum
Leselektion 3
Was für einen Körper ein göttliches Wesen auch immer ersehnt
Om das Juwel im Lotus Hum
Leselektion 4
Ich bin das universale Selbst
Das universale Selbst
Leselektion 5
Wahrheit ist das Licht der Welt
So habe ich gehört
Leselektion 6
Gesegnet seist du!
Ein Juwel kommt zusammen mit einem Juwel
Das Devanâgarî-Alphabet
Lektionen zum Schreiben der Devanâgarî
Ein buddhistischer Mahâyâna-Text
Gesamtindex
Vor einigen Jahren führte mich ein starker Wunsch und Wille, Die Geheimlehre von Helena Petrowna Blavatsky vollständiger zu verstehen, zum Studium des Sanskrit. Die Ergebnisse waren für mich die Jahre hindurch so befriedigend, dass ich die Früchte dieses tiefen und doch freudvollen Studiums mit anderen teilen wollte. Daher habe ich dieses Buch vorbereitet und geschrieben, um für andere Freunde der Wahrheit die schöne und doch mitunter schwierige Sanskrit-Terminologie zu klären, die in nahezu der gesamten theosophischen und okkulten Literatur so reichlich zu finden ist. Der Inhalt dieser Seiten ist das Ergebnis mehrjähriger spezieller Studien und Unterweisungen unter Prof. Dr. Gottfried von Purucker und eigener Erfahrungen damit, diese Sanskrit-Wörter, von denen jedes einzelne ein Symbol für etwas Wahrheit ist, anderen zu lehren und zu erklären.
Schüler, die diesen philosophischen Sanskrit-Kurs an der Theosophischen Universität oder in anderen theosophischen Zentren in Europa absolviert haben, haben festgestellt, dass dieses Studium der mystischen Sanskrit-Ausdrücke die intuitive Wahrnehmung weckt und die Tür öffnet zu einem umfassenderen Verstehen der esoterischen Wahrheiten der Alten Weisheit, die jetzt Theosophie genannt wird. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch es vielen anderen ermöglicht, diese Sanskrit-Schlüsselwörter zu verstehen, sodass sie ihrerseits ein wenig mehr von dem mystischen Wissen der Geheimlehre entschleiern mögen.
Allen, die so bereitwillig bei der Vorbereitung dieses Buches geholfen haben, und jenen, die wertvolle Anregungen und Ratschläge gegeben haben, möchte ich meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen.
Theosophische Universität, 6. August 1940
Judith M. Tyberg